Haftgrund der Fluchtgefahr und Straferwartung
Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr scheidet jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe aus, insbes. ist die Annahme unzulässig, dass bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe stets (oder nie) ein rechtlich beachtlicher Fluchtanreiz bestehe.
KG, Beschl. v. 13.09.2016 – 4 Ws 130/16
Aus den Gründen:
Entgegen der Auffassung des LG gibt es keine »Grenze« von etwa 2 J., bei der allein aus einer solchen Straferwartung »Fluchtgefahr herzuleiten« und nur noch zu prüfen sei, ob diese durch besondere Tatsachen wieder ausgeräumt werden könne. Der Senat hat in seiner jüngeren Rspr. (vgl. Beschl. v. 03.11.2011 – 4 Ws 96/11; veröffentlicht in StV 2012, 350 m.w.N.) dargelegt, dass bei der Beurteilung der Fluchtgefahr jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe ausscheidet, insbes. die Annahme unzulässig ist, dass bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe stets (oder nie) ein rechtlich beachtlicher Fluchtanreiz – nur darum kann es gehen, keinesfalls um den Haftgrund selbst – bestehe. Denn andernfalls käme es zu einer unzulässigen Haftgrundvermutung allein wegen einer bestimmten Strafhöhe. Mit der in StV 2012, 350 veröffentlichten Entscheidung hat sich der Senat gegen frühere Rspr., zu der auch die von der Kammer zit. Entscheidung des KG v. 02.03.2006 – 5 Ws 68/06 – gehörte, gewandt, und er hat die maßgeblichen Rechtsgrundsätze in der Folgezeit präzisiert. Den in der SenatsE v. 03.11.2011 enthaltenen Rechtsgrundsätzen sind die anderen Senate des KG in der Folgezeit beigetreten (vgl. etwa KG, Beschl. v. 27.12.2011 – 2 Ws 586/11; v. 10.01.2014 – 2 Ws 1/14, v. 23.07.2014 – 3 Ws 341/14, v. 21.08.2014 – 1 Ws 61/14 [[…]] und v. 26.10.2015 – 5 Ws 132/15). An den in früheren Entscheidungen enthaltenen Rechtsgrundsätzen, die dem vom LG zit. Grundsatz entsprachen, ist demgemäß nicht festzuhalten (vgl. auch Senat, Beschl. v. 29.08.2016 – 4 Ws 124/16). Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob es in Fällen besonders hoher Straferwartung gerechtfertigt ist, an die Tatsachen, die einen deshalb anzunehmenden besonders hohen Fluchtanreiz entkräften können, erhöhte Anforderungen zu stellen. Auch braucht er sich nicht mit der Frage zu befassen, bei welcher Höhe eine solche besonders hohe (Rest-)Straferwartung vorliegt; allerdings kämen angesichts der dargelegten Erwägungen insoweit nur langjährige Strafen bzw. Strafreste, um die es vorliegend indessen nicht geht, in Frage.